Grüne jubeln, Frust bei der SPD, NRZ 27.05.2019
Auch in Rheinberg, Alpen, Xanten und Sonsbeck war die Wahlbeteiligung größer als vor fünf Jahren. Die Grünen legten auf über 20 Prozent zu. Einbrüche auch bei der CDU
Lange Pausen hatte das Team um Wahlvorsteher Christian Nickenig gestern nicht. Fast am laufenden Band kamen am Nachmittag Rheinberger mit ihren Wahlbenachrichtigungen ins Pfarrheim St. Peter, das zum Wahllokal umfunktioniert wurde. „Für eine Europawahl ist ziemlich viel los. Wir haben schon eine Beteiligung, die bei über 50 Prozent liegt“, sagte Nickenig. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Wahllokal noch gut zwei Stunden geöffnet.
Der Wahlvorsteher erklärt sich die verhältnismäßig hohe Wahlbeteiligung mit dem steigenden Interesse an Europa. Neben ihm kontrollierten Swen Denzau, Günter van Wesel und Andrea Weißenfels, ob Wahlbenachrichtigung und Personalausweis gültig sind, führten eine Strichliste. Dann ging es ans Auszählen: Die große Wahlurne wurde ausgekippt, die Stimmzettel sortiert und das Ergebnis zum Wahlbüro ins Stadthaus gebracht. Der Eindruck der Wahlhelfer täuschte schließlich nicht. In Rheinberg lag die Wahlbeteiligung bei 63,56 Prozent, knapp zwölf Prozentpunkte höher als bei der Europawahl 2014. Auch in Alpen gaben deutlich mehr Bürger ihre Stimme ab (70 Prozent). In Xanten und Sonsbeck stieg die Beteiligung ebenfalls – wenn auch nicht so stark.
Sieger der Europawahl sind im Kreis Wesel definitiv die Grünen. Sie konnten in allen hiesigen Kommunen zulegen und zogen als zweitstärkste Kraft an der SPD vorbei. Groß war die Freude daher natürlich auch bei Lukas Aster über den satten Zugewinn von knapp 13 Prozent „seiner“ Sonsbecker Grünen. „Die Menschen merken, dass es fünf vor zwölf beim Thema Klima und Verkehr ist. Und dass man diese Probleme nicht lokal lösen, sondern dafür eine starke Stimme in Europa braucht.“ Trotz eines eher dezenten Wahlkampfes ohne Werbetrommel hätten sich die Bürger angesprochen gefühlt.
Mehr als doppelt so viele Stimmen wie noch 2014 verbuchte die FDP in Alpen. „Damit können wir zufrieden sein, auch die Wahlbeteiligung hat zugenommen“, erklärte FDP-Fraktionschef Thomas Hommen . Europa werde in den Köpfen der Menschen immer wichtiger, Europa werde mehr wahrgenommen. „Die Bürger sind sich bewusst, dass die Entscheidungen in Brüssel große Auswirkungen auf Bund, Land und auch die Kommunen haben.“
Michael Terwiesche , niederrheinischer FDP-Spitzenkandidat, hatte keinen Grund zum Feiern. Zwar konnten die Liberalen ihr Ergebnis kreisweit im Vergleich zur letzten Europawahl ebenfalls fast verdoppeln, trotzdem sei das Ergebnis enttäuschend, so Terwiesche. „Ich denke, unsere Kampagne hat vielleicht doch einige Wähler davon abgehalten, uns ihre Stimme zu geben.“ Man hätte die Vorteile der Europäischen Union noch deutlicher in den Vordergrund rücken müssen. Für ein Mandat reicht es für den FDP-Kandidaten nicht. Dafür hätte die Partei bundesweit mindestens 13 Prozent erzielen müssen.
Stefan Berger musste gestern Abend hingegen noch zittern: Bis Redaktionsschluss stand nicht fest, ob es für den CDU-Kandidaten für ein Mandat im Europäischen Parlament reicht. „Es wird knapp. Wir haben am Niederrhein ordentlich gekämpft und überdurchschnittlich abgeschnitten.“ Berger nennt die überregionalen „schweren Themen“ wie die Kommunikation mit Jugendlichen, neue Medien oder den Brexit als Grund für die Verschlechterung der CDU im Kreis Wesel. Die Partei verlor knapp sieben Prozentpunkte der Wählerstimmen. Pankraz Gasseling , Fraktionschef der CDU Xanten, sah den Bundestrend in der Domstadt bestätigt. „Der Klimawandel hat stark an Bedeutung gewonnen – und damit ist auch der Aufschwung der Grünen zu erklären. Der Trend ist in Xanten nicht anders als im Bund.“ Im Hinblick auf die Kommunalwahl gelte es nun auch für die Xantener CDU, das Thema Klimaschutz noch mehr in den Fokus zu rücken.
Im Lager der SPD war der Frust spürbar. „Die 15 Prozent im Bundestrend haben mich schon umgehauen“, sagte Marion Nasskau , Europakandidatin der SPD aus Xanten. „Es ist eine große Enttäuschung, ein trauriges Ergebnis.“ Aber es sei auch fast abzusehen gewesen, dass die Grünen ein harter Gegner sein würden. Alleine die gute Wahlbeteiligung sei erfreulich. In vielen Gesprächen mit den Bürgern während des Wahlkampfes habe Nasskau eine große Unzufriedenheit mit den Entscheidungen der SPD verspürt. „Und auch unsere Parteispitze hat uns nicht gerade geholfen.“ Trotz der Schlappe wolle Marion Nasskau die politische Arbeit vor Ort nicht aufgeben.
Auch Rheinbergs SPD-Fraktionschef Jürgen Madry fehlten gestern Abend fast die Worte. „Für mich ist schwer nachvollziehbar, dass wir so abgestraft wurden.“ Dabei packe man auch vor Ort in Rheinberg soziale Probleme an, „doch der Wähler entscheidet anders.“ Auch der Zuwachs der AfD in Rheinberg sei eine riesige Enttäuschung. „Das ist traurig und tut weh.“
eingestellt von Thomas Hommen