Die Mitfahrerbank im Praxis-Test, RP 05.05.2018

Modell Anhalter: Seit einem Jahr kann man sich auf die Mitfahrerbank setzen, um von Alpen nach Menzelen-Ost oder umgekehrt zu kommen. Die RP hat das Angebot getestet.

Gut ein Jahr ist es her, dass die Gemeinde Alpen drei „Mitfahrerbänke“ aufgestellt hat, um die Mobilität in ihren Dörfern zu erhöhen. Der Gedanke ist so einfach wie überzeugend: Die, die mobil sind, also ein Auto fahren, nehmen die mit, die eben nicht motorisiert sind und auch nicht mal eben in einen Linienbus steigen können, weil schlichtweg keiner fährt. Und abseits der Bürgerbusroute soll dörfliches Miteinander die Menschen bewegen. Man kennt sich, man hilft sich. Das Modell macht Schule. Auch Xanten will Bänke an die Straße stellen. Am Anfang war Skepsis. Dann ist es ruhig geworden um das landesweit beachtete Projekt in Alpen. Daher hat sich RP-Redakteur Bernfried Paus jetzt auf die Bank gesetzt, um den Praxistest zu machen.

9.30 Uhr Es ist ein sonniger Mai-Morgen an der Schulstraße in Menzelen-West, aber noch recht kühl. Ich parke meinen Wagen auf dem Parkplatz hinter der rustikal, doch chicen Holzbank mit den großen, wie von Hand geschriebenen roten Lettern in der Rückenlehne, die sich dekorativ und gut lesbar zum Wort „Mitfahrerbank“ fügen. Es ist nichts los auf der Straße. Nur ein Radler strampelt seines Weges, als ich Platz nehme. Ich krame mein Smartphone hervor, um dienstliche Mails zu checken, damit mir die Zeit nicht zu lang wird. Ich bilde mir ein, dass ich wohl ein wenig Geduld werde aufbringen müssen, ehe jemand anhält, um mich mitzunehmen.

Um meine Chancen zu erhöhen und nicht zu viel Zeit zu verlieren, habe ich die mittlere der drei Bank-Standorte in der Gemeinde gewählt. Von hier aus komme ich, wenn’s klappt, bis Menzelen-West oder alternativ nach Westen bis an die alte Poststation in Zentral-Alpen.

9.34 Uhr Mein E-Mail-Account ist noch nicht offen, da stoppt schon ein schwarzer Ford. Der Mann hinterm Steuer deutet mit einem fragenden Blick gegen Westen. Ich kann’s kaum glauben, nicke, erhebe mich und steige ein. Also nach Alpen. Am Steuer sitzt Ulrich Petroff. Er ist Mitglied der Dorfwerkstatt, die das ländliche Mobilitätsangebot auf den Weg gebracht hat. Glück gehabt, denke ich.

Petroff aber versichert mir, dass Leute nie sehr lange auf der Mitfahrerbank sitzen. Das System habe sich bewährt. Auch in Gegenrichtung. Seine Tochter wohne in West und die besuche er regelmäßig. Er habe allein schon ein gutes Dutzend Bank-Passagiere aufgegabelt.

Nach gut vier Kilometern durch schöne niederrheinische Landschaft mit sattgrünen Wiesen und leuchtend gelben Rapsfeldern – viel Zeit zum Plaudern bleibt nicht – lässt er mich an der Ulrichstraße raus. „Danke und tschüss.“

9.44 Uhr Ich setze mich gleich sofort auf die Bank an alten Post. Zwei Autos auf dem Parkstreifen davor versperren nicht nur mir den Blick auf die Straße, sondern machen mich für Autofahrer fast unsichtbar. Suboptimal. Es ist frisch hier im Schatten. Zwar ist hier deutlich mehr Verkehr als in Menzelen. Aber ich bleibe lange sitzen. Mich fröstelt es. Die Glocke von St. Ulrich schlägt zur vollen Stunde.

Zwei Mädels spazieren vorbei, unterhalten sich angeregt, haben keinen Blick für mich. Die Minuten verstreichen. Erinnerungen kommen hoch an die Zeit, als es für mich als junger Student selbstverständlich war, mich als Tramper an die Straße zu stellen. Da habe ich auch immer in die Cockpits geguckt, um abzuschätzen, ob der Fahrer so aussieht, als würde er anhalten. Wenn er vorbeifuhr, habe ich ihn verflucht. Das ist fast 40 Jahre her.

Dann naht das DRK-Mobil, zwar aus der falschen Richtung. Aber es muss ja zurück. Siegfried Remy, der Mann am Lenkrad, würde mich dann bestimmt mit zurücknehmen, denke ich.

Doch ich bleibe noch ein Weilchen im Schatten. Ein Hauch von Frust steigt auf. „Hund begraben“, kommt mir in den Sinn. Ich studiere den Fahrplan der Linie 65, setz‘ mich aber wieder hin. Die beiden Mädels kommen zurück. Sie haben sich ganz offenbar in einer der vielen Bäckereien im Ort ein belegtes Brötchen geholt, dahinter folgt eine Frau, die am Handy irgendjemandem eine klare Ansage macht und mir im Vorbeigehen ein Lächeln schenkt. Nett.

10.15 Uhr St. Ulrich meldet sich zur Viertelstunde. Zwei Minuten später geht gegenüber die Tür des Friseursalons auf. Ein junger Mann mit frisch frisierten dunklen Haaren kommt heraus, quert die Straße. Als er mich erblickt, fragt er: „Möchten Sie nach Menzelen?“ Ich stehe auf: „Gern.“ Der Deal ist perfekt. „Ich hol‘ Sie gleich ab“, sagt er knapp und verschwindet um die Ecke.

10.18 Uhr hält ein weißer Citroën. Ich nehme auf dem Beifahrersitz Platz und stelle mich vor. Mein Taxifahrer heißt Mario Vennemann, lebt in Paderborn und ist auf Heimaturlaub in Menzelen-West. Das System „Mitfahrerbank“ hält er für „eine gute Idee – „aber nur, wenn man Zeit hat und kein Termin dahintersteht“. Die Fahrtzeit reicht gerade für basales Kennenlernen.

10.23 Uhr Ichhabe mein Ziel erreicht. Noch ist keine Stunde verstrichen, seit ich hier gestartet bin. Eigentlich gar nicht so schlecht. Aber ins eigene Auto steigen zu können, ist doch ein gutes Gefühl.

eingestellt von Thomas Hommen

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