Elite-Gymnasien für Problemviertel – ein Gastbeitrag von Christian Lindner, RP 24.10.2016
Unser Gastautor Christian Lindner erklärt, was sich im nordrhein-westfälischen Bildungssystem ändern muss, damit NRW im internationalen Vergleich mithalten kann. Er setzt auf das Leistungsprinzip.
Fast drei Viertel der jungen Erwachsenen fühlen sich nicht gut auf das Berufsleben vorbereitet. In einer aktuellen Umfrage schneidet unser Bildungssystem erneut katastrophal ab. Dabei entscheidet die Qualität der Bildung nicht nur über den eigenen Lebensweg. Es ist für uns alle die Wohlstandsfrage: Wenn wir uns heute mit höchstens mittelmäßiger Bildungspolitik zufriedengeben, dann werden wir morgen auch nur noch mittelmäßig leben.
Insbesondere in Nordrhein-Westfalen türmen sich die Probleme. Die Bildungsarmut ist hoch, die Unterrichtsversorgung schlecht. Die Regierung demotiviert die Lehrerinnen und Lehrer. An Gymnasien und Berufskollegs wurden Lehrerstellen gestrichen. Aus der guten Idee der gleichzeitigen Förderung von Kindern mit und ohne Behinderung wurde eine Ideologie, die alle überlastet. Und es ist respektlos, dass wir den Schülerinnen und Schülern sanierungsbedürftige Schultoiletten, Klassen- und Fachräume sowie uralte Computer zumuten.
Nordrhein-Westfalen sollte sich ein ambitioniertes Ziel setzen: weltbeste Bildung. Das heißt übrigens ausdrücklich nicht „Abitur für alle“, denn auch der berufliche Bildungsweg bietet großartige Perspektiven. Aber wir sollten uns zum Beispiel bei Fremdsprachen, mathematisch-naturwissenschaftlichen Kenntnissen und dem Einsatz der digitalen Medien mit den führenden Bildungsnationen der Welt messen. Ausstattung und Methoden der Schulen müssen modernisiert werden. Ja, das erfordert eine enorme Kraftanstrengung – ein „Mondfahrtprojekt“. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber wir müssen es starten. Hier sind fünf erste Impulse:
Erstens Der Bildungsföderalismus hat sich überlebt. Nordrhein-Westfalen steht nicht im Wettbewerb mit Sachsen, sondern Deutschland im Wettbewerb mit Nordamerika und China. Statt 16 Mal das Rad neu zu erfinden, sollten die Länder untereinander und mit dem Bund kooperieren. Wir brauchen eine bundesweite Vergleichbarkeit der Schulen, einheitliche Abschlussprüfungen und eine transparente Evaluation der Unterrichtsqualität. Für weniger Reibungsverluste und mehr gemeinsame Finanzierung muss auch das Grundgesetz modernisiert werden. Insbesondere die CSU muss verstehen, dass der Bildungsföderalismus vielleicht zum Jahr 1958 im Allgäu passt, aber nicht zum Jahr 2016 mit Digitalisierung und mobilen Menschen.
Zweitens Wir wollen den Schulen vor Ort mehr Entscheidungsfreiheit geben, wie sie die Lernziele erreichen. Internationale Studien zeigen: Dadurch steigt die Kreativität der Pädagogen und das Qualitätsniveau des Unterrichts. Auch beispielsweise über die gymnasiale Schulzeit (G8/G9) sollten die Schulen selbst entscheiden können. Denn wo G8 funktioniert, sollte man die Schulen in Ruhe lassen. Wo G9 gewünscht ist, muss man es ermöglichen. Denn die Lage kann von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Wichtig ist, dass die generelle Vernachlässigung des Gymnasiums beendet wird. Alle Gymnasien müssen organisatorisch und personell besser unterstützt werden, denn auch so erleichtert man den Schülerinnen und Schülern das Leben.
Drittens Wir brauchen eine Initiative für Bildung mit digitalen Medien. Heute findet der Schulunterricht oft noch in der Kreidezeit statt – an vielen Schulen fehlen schnelles Internet, W-Lan, interaktive Smartboards und Tablets. Bund und Land wollen zwar endlich Geld zur Verfügung stellen. Experten sagen aber: Für das digitale Klassenzimmer 4.0 reicht das nicht aus. Hier muss deutlich mehr passieren. Und das Land muss vor allem in umfassende Fortbildung zur Unterstützung der Lehrkräfte investieren. Digitales Lernen im Unterricht muss fester Bestandteil aller Schulfächer werden.
Viertens Nordrhein-Westfalen darf sich mit der hohen Bildungsarmut nicht weiter abfinden. Tausende Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss. Und in Mathematik und Naturwissenschaften erreichen viele Schüler hierzulande kaum Mindeststandards. Wir müssen neue Wege finden, wie schulische Erfolge von der sozialen Herkunft entkoppelt werden. Ich bin überzeugt, dass uns dabei eher das positive Beispiel und das Leistungsprinzip helfen als Gleichmacherei.
Eine konkrete Idee: In 30 Stadtteilen unseres Landes mit den größten sozialen Problemen gründet das Land Elite-Gymnasien – ausgestattet mit den modernsten Mitteln für den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht. Bereits im Kindergarten sollen die besten Talente entdeckt werden und sich für den Besuch dieser Schulen qualifizieren. Statt mit ihren Kindern aus den Schulen in diesen Stadtteilen zu fliehen, werden dann viele Eltern aktiv dorthin streben. Wo benachteiligte Kinder wohnen, schaffen wir besondere Exzellenz. Das sendet ein Aufbruchsignal ins ganze Land.
Fünftens Voraussetzung für weltbeste Bildung ist, dass der Unterricht tatsächlich stattfindet. Wir fordern eine Unterrichts-Garantie für alle Schulen. Dazu benötigen wir endlich die schulscharfe Erfassung des Unterrichtsausfalls – was vom Schulministerium über Jahre verhindert wurde.
Natürlich sind diese fünf Impulse unvollständig. Und wir werden auch niemals vollständig mit unserem Bildungssystem zufrieden sein. Sollten wir auch nicht, weil es ständig aktualisiert und verbessert werden muss. Sechs Jahre Schulpolitik unter der grünen Ministerin Sylvia Löhrmann haben dazu keinen Beitrag geleistet. Im Gegenteil. Denn statt Ideologie und Gleichmacherei brauchen wir Freiheit und Freude über besondere Leistungen.
Christian Lindner ist Bundesvorsitzender der FDP.